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Aktuelle Meldung



10.06.2010 - Kategorie: ELKRAS

ELKRAS/Sibirien: Die Pauluskirche Wladiwostok




Manfred Brockmann, Pastor an der Pauluskirche zu Wladiwostok, hat uns einen kleinen Bericht über Geschichte und Restaurierung »seiner« Kirche zukommen lassen, den wir Ihnen nicht vorenthalten möchten. Er zeigt sehr anschaulich, wie viele Partner nötig sind, um ein Projekt dieser Größenordnung zu bewältigen.



Die Pauluskirche in einer Aufnahme aus dem Jahr 1910 – Foto: Archiv MLB

Nun strahlt das Kreuz auf der Pauluskirche wieder. – Foto. Archiv MLB

Die Pauluskirche Wladiwostok, erbaut 1907 vom deutschen Architekten Georg Junghändel (der auch am Bau des Berliner Doms beteiligt gewesen war), war von 1907 bis 1935 die Kirche der Paulusgemeinde, der bedeutende, meist deutschsprachige Personen unserer Stadt – wie Gouverneure, Admirale, Offiziere, Kaufleute, Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer und Künstler – angehörten und die bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Stadt und Land an die 4000 Mitglieder hatte. Ein bedeutender Förderer der Pauluskirche war das bekannte deutsche Handelshaus »Kunst und Albers«, besonders unter seinem Leiter Adolph Dattan, der jahrelang Vorsitzender des Kirchenvorstands war. Die Paulusgemeinde ist neben der orthodoxen die älteste Gemeinde unserer Stadt, weil Wladiwostok 1860 unter maßgeblicher Beteiligung von Lutheranern gegründet wurde; auf jeden Fall ist die Pauluskirche das älteste Kirchengebäude Wladiwostoks und neben dem Bahnhof das wertvollste architektonische Denkmal unserer Stadt. Sie steht in Russland unter Denkmalsschutz und trägt eine dementsprechende Plakette.

 

1935 wurde der letzte Pastor der Paulusgemeinde, Woldemar Reichwald, verschleppt; er ist wahrscheinlich einer unserer Märtyrer. Die Pauluskirche wurde erst Matrosenklub, dann Kino und schließlich Museum der russischen Pazifikflotte. Als Pastor Manfred Brockmann Mai 1992 hierher kam, standen vor der Kirche Kanonen und kleine Panzer, in der Kirche stand zwischen Maschinengewehren und Flottenbildern eine Leninbüste an der Stelle des Altars.

 

Die Gemeinde wurde 1992 neu registriert und kämpfte fünf Jahre um die Wiedergabe ihrer Kirche. Diese geschah am 16. September 1997 unter maßgeblicher Mitwirkung und im Beisein des damaligen deutschen Botschafters, Dr. Ernst-Jörg von Studnitz. Zugleich wurde die Pauluskirche in den Rang eines deutschen Kulturdenkmals im Ausland erhoben, darin vergleichbar dem Dom in Kaliningrad. Sie war in fürchterlich vernachlässigtem, fast verfallenem Zustand, z.B. standen Eimer unter undichten Stellen in der Decke, um das Regenwasser aufzufangen, in der Mauer rechts der Apsis war ein großer Riss. Dass das Gebäude bei so schlechter Pflege diese 62 Jahre überhaupt überlebte, schreiben selbst die Russen der »deutschen Qualitätsarbeit« zu; tatsächlich waren sogar beim Bau die Backsteine aus Deutschland eingeführt worden (auf einigen Steinen fanden wir die Inschrift »Ziegelwerk Hans Müller Saargemünd«, was damals mit Lothringen noch zu Deutschland gehörte).

 

Gleich von der Rückgabe an begann die Kirche wieder zu »arbeiten«, und ihre Renovierung wurde begonnen. Auch im Ausland wurde der architektonische Wert der Pauluskirche bald bemerkt und beachtet. Auf die bedrohliche Nachricht vom Riss in der Mauer rechts der Apsis reagierte das Gustav-Adolf-Werk in Deutschland mit der Anfrage an das Architekturbüro Angelis und Partner in Oldenburg (Spezialisten für Backsteinkirchen im norddeutschen Raum), eine Gruppe von Fachleuten zu schicken. Diese gruben im Jahr 1998 das Fundament der Pauluskirche auf und stellten fest, dass dieses in Ordnung , also der Riss nur oberflächlicher Natur war. Architekt Gregor Angelis hat uns seitdem mit fachmännischem Rat und mit Tat und auch z.T. mit Finanzierungen bei der Renovierung zur Seite gestanden.

 

Weitere Finanzhilfen bei der Renovierung kamen von unserer Partnerkirche Central States Synod in den USA, ganz besonders vom Martin-Luther-Bund in Deutschland (Türen, fast alle Innenreparaturen!) und auch besonders vom Gustav-Adolf-Werk (z.B. Teil des Balkons) und vom Gustav-Adolph-Werk, Hauptgruppe Pfalz (Turm). Das damals noch existierende »Deutsche Zentrum für Handwerk und Denkmalspflege« in Fulda unter Leitung von Dr. Hella Rübesam hat uns aus seiner Russlanderfahrung heraus mit Rat und auch mit Finanzen zur Seite gestanden (2001). Als es nachher seine Zusagen nicht mehr erfüllen konnte, half die Deutsche Botschaft mit dem ausstehenden Rest Geld aus. Die »Zeit-Stiftung« finanzierte den Chorbalkon (2003). Der Lutherische Weltbund finanzierte uns einmal das Dach und dann sehr großzügig die formidable Fußbodenheizung mit allem, was dazugehört! Die große Eingangstreppe wurde von der Stadt Wladiwostok bezahlt. Die Südfassade finanzierte das Bundesministerium des Innern über die Deutsche Botschaft. Ebenfalls half die Deutsche Botschaft mit bei der Beschaffung von Stühlen, den anderen Teil zahlte die Frauenarbeit des Gustav-Adolph-Werkes.

 

Sogar die »Fondation pour l’aide au Protestantisme Reforme« leistete uns finanzielle Hilfe. Auch Rotary International half mit Geld und dazu noch mit dem Einsatz von Freiwilligen; hier ist besonders dem Rotarier Oswin Christel, Hanau, zu danken. Hilfe kam auch vom »Freundeskreis Pauluskirche Wladiwostok« in Hamburg unter Leitung von Hartmut Lubomierski. Und nicht vergessen werden dürfen die vielen privaten Helfer und Sponsoren in Deutschland, den USA und der Schweiz. Unter ihnen ragen heraus Professor G. Krodel und seine Frau Joan, Gettysburg, USA. Unsere schönen Lüster wurden vom Gustav-Adolph-Werk, Hauptgruppe Schleswig-Holstein, der Altar von Joan Krodel, USA, eine Orgel von den lutherischen Gemeinden Melbourne und Sidney, Australien (Hans Schroeder!), die andere Orgel von Frau T. Stoll, Esslingen, die drei Glocken von den Lesern der Stuttgarter Zeitung und der Firma Festo, Esslingen. gespendet.

 

Doch Geld allein hätte nicht gereicht. Mindest genau so wichtig sind die Menschen und Fachkräfte, die bei uns gearbeitet haben. Das sind natürlich unsere eigenen Leute wie Eduard Mischenko, Mischa Hense, Wolodja Chrapko, auch die Firma Genpodratschik. Dann aber die Freiwilligen aus dem Ausland, wie die auf die unermüdliche Initiative von Oswin Christel herbeigerufenen Freiwilligen vom Rotary Club aus Neuseeland, Edwin Munroe und Jock Hodgson, die sich besonders mit der Wiederherstellung der Fenster und anderer Holzarbeit beschäftigten. Sie halfen auch an der Südfassade mit, wo selbst Oswin Christel Hand mit anlegte.

 

Ganz besondere Verdienste hat Ludmilla Pedjasch, die als im Baufach erfahrene Fachkraft von Anfang an alle Restaurationsarbeiten an der Pauluskirche sachkundig und energisch leitete! Zu erwähnen sind auch Sachspenden an gutem Arbeitsmaterial und Handwerkszeug aus Deutschland. Hier geht der Dank wieder an Oswin Christel, sowie an unseren verstorbenen Peter Lüdemann und an Helmut Krehl.

 

Ãœber allen aber ist Rainer Matthäus Muus, einem Handwerker aus Dithmarschen, Deutschland, zu danken. Er arbeitete in unserer Kirche vom 5. April 2000 bis zum 28. März 2002 und dann noch einmal von April 2005 bis August 2008, praktisch für einen Gotteslohn.

 

In den ersten zwei Jahren hat Rainer Muus im Innenraum der Kirche alle Backsteine abgeschliffen und alle Bögen neu gemauert. Die Backsteine hat er mit Öl versiegelt. Beide Seitenwände innen wurden fertiggestellt, nur der Putz kam später. Risse in der Wand (auch der große rechts der Apsis) wurden beseitigt und mit Stahlzwingen gesichert. Rainer machte die Putzarbeiten in der Apsis, und auch der Deckenputz wurde schon zu zwei Drittel fertiggestellt. Er begann das Holz im Deckengebälk im Originalfarbton zu bemalen, den er unter den Übermalungen entdeckt hatte. Bei allem muss betont werden, dass Rainer Muus jeden einzelnen Stein in Handarbeit liebevoll behandelt hat, jeder herumliegende Stein musste von Hand ausgewählt und gesäubert werden.

 

In den anderen drei Jahren beendete Rainer Muus den Putz an der Decke und die Bemalung des Deckengebälks. Er begann auch mit Mitarbeitern unter seiner Leitung den Bau der Freitreppe am Haupteingang der Kirche. Auch setzte er die Tür des Haupteingangs ein.

 

Hauptarbeit und Hauptleistung in dieser Zeit war aber das Legen des Backsteinbodens in der Kirche. Dies erforderte besondere Fachkenntnis und besonderes Gespür für den Stil einer gotischen Kirche. Beides besaß Rainer Muus in hohem Maße. Er entwarf ein stilvolles Muster des Backsteinfussbodens, und er sorgte dafür, dass dieser so mit Öl versiegelt wurde, dass seine Leuchtkraft erhalten bleibt. Überhaupt erscheint dieser Backsteinboden als sein Meisterstück in der Pauluskirche!

 

Zuletzt hat Rainer Muus noch das Kreuz über dem Haupteingang gebaut und aufgestellt. Er besorgte auch die Herrichtung der Glockenstube im Turm für die eintreffenden drei Glocken und nahm Teil an deren Anbringung.

 

In der Person von Rainer Muus vereinigen sich drei Qualitäten, die ihn geradezu als ein »Gottesgeschenk« für die ideale, stilgerechte Renovierung der Pauluskirche erscheinen ließen:

 

1.) Arbeit von höchster handwerklicher (alles per Hand!) Qualität, 2.) Kreativität, diszipliniert durch Stilbewusstsein und guten Geschmack und 3.) Liebe zu seiner Kirche. Ohne diesen Menschen wäre die Pauluskirche zu Wladiwostok nicht dies Schmuckstück, das sie jetzt ist.

 

Noch viel ist zu tun, so z.B. die Säuberung und Gestaltung des Grundstückes um die Kirche, die Errichtung einer kleinen Mauer vor den hä sslichen Heizungsrohren neben der Kirche, die Verbesserung der Toilette und vor allem die Erstellung eines guten, schönen Zaunes um unser Grundstück. Beginnen wollen wir auch mit den drei Glasfenstern in der Apsis, eines davon ist das Geschenk meines Freundes Torsten Griess-Nega, der sich in unserer Pauluskirche am 5. September dieses Jahres trauen lassen will. All das ist Programm in diesem Jahr.

 

Schließen möchte ich für heute mit zwei Gedichten:

 

»Manchmal steht einer auf beim Abendbrot
und geht und geht und geht
weil fern im Osten eine Kirche steht
und seine Brüder achten ihn für tot.«
                              Rainer Maria Rilke (1875–1926)

 

Das ist wie für unseren Rainer Muus geschrieben, der die Pauluskirche »fern im Osten« restaurierte.

 

 

Â»Я Лютеран люблю богослужение
обряд их строгой и простой
сих голых стен, сей храмини пустой
понятно мне высокие учение.«

 

»Ich liebe den Gottesdienst der Lutheraner
seine strengen und einfachen Formen
die Kargheit dieser Wände und die Weite des Kirchenraums
sind mir ein Zeichen hoher Bildung und Lehre.«
                              Fjodor Iwanowitsch Tjuitscheff (1803–1873)

 

Ja, immer wieder werden Menschen unserer Stadt von der Weite, Bescheidenheit, Leere und Reinheit der Pauluskirche und ihres Raumes angezogen; sie nennen unsere Kirche einfach schön im Unterschied zu anderen Kirche oder Beträumen, die sie entweder als überladen oder als nicht geistlich empfinden.

 

Das soll so bleiben, und wir wollen bei der weiteren Restaurierung sehr vorsichtig zu Werke gehen.

 

Außer dem Glasfenster wird die nächste »Ausgestaltung« je ein »Bild« von Jesus Christus und Paulus links und rechts der Apsis sein: Jesus Christus, unser Herr und Heiland, und Paulus, sein größter Apostel, Namenspatron unserer Pauluskirche. Auch da soll bedacht und vorsichtig vorgegangen werden: Der Künstler muss in der Tradition der Kirche stehen und wissen, wer Jesus Christus und Paulus sind.

 

Doch zunächst haben wir über das deutsche Generalkonsulat Nowosibirsk und den deutschen Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland dafür zu danken, dass sie die Restaurierung der Westfassade unserer Pauluskirche im Jahre 2008 finanziert hat. Dieses möchten wir hiermit tun.

 

Manfred Brockmann, Pastor an der Pauluskirche zu Wladiwostok,

Wladiwostok, 7. April 2010.