12.10.2007 - Kategorie: LD online
Ein argentinischer DNK/LWB-Stipendiat und die weltweite Gemeinschaft
Interview mit Dr. Guillermo C. Hansen
Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 4/2007
LD 4/2007
Dr. Guillermo C. Hansen
Dr. Guillermo C. Hansen ist Professor für Systematische Theologie am Instituto Superior Evangelico de Estudios Teologicos (I.S.E.D.E.T.) in Buenos Aires/Argentinien. Als Stipendiat des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes (DNK/LWB) war er auch Teilnehmer des diesjährigen Internationalen Sprachkurses des Martin-Luther-Bundes. Dr. Rainer Stahl und Hannelene Jeske sprachen mit ihm.
Herr Professor Hansen, Sie haben keinen typisch argentinischen Namen. Woher kommt Ihre Familie?
Meine Familie stammt aus Dänemark. Sie ist nach dem Zweiten Weltkrieg nach Argentinien ausgewandert. Heute gibt es viele Gemeinden mit dänischen Wurzeln in Argentinien. Sie haben sich in verschiedenen Regionen des Landes niedergelassen. Während sich die deutschstämmigen Einwanderer meistens für den Norden entschieden, siedelten die Dänen im Süden des Landes. Der Norden ist klimatisch eher sehr warm, der Süden kalt. Heute in der Großstadt Buenos Aires spielt es aber keine Rolle mehr, woher die Menschen ursprünglich kamen. Wir sind alle Argentinier. Meine Frau stammt aus den USA. Wir haben uns dort kennen gelernt, als ich in Chicago studierte und promovierte. Sie ist Pfarrerin in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELCA) und arbeitet jetzt in Argentinien als Missionarin. Nächstes Jahr werden wir mit der Familie zusammen in die USA zurückgehen. Augenblicklich suche ich dort nach einer Arbeit als Systematiker in einem Theologischen Institut. Ich habe in Buenos Aires vierzehn Jahre an der I.S.E.D.E.T., dem Ökumenischen Theologischen Institut der La-Plata-Kirchen, gearbeitet. Wir haben zwei Kinder. Daniel ist 17 Jahre und Lia ist 13 Jahre alt. Daniel wurde noch in den Vereinigten Staaten geboren, und die Kinder sprechen beide Sprachen.
Wie arbeiten Sie an der I.S.E.D.E.T.?
Wir sind zu viert im Fachbereich Systematische Theologie. Ich selbst bin Fachgebietsleiter. Dann haben wir eine Lehrerin aus Deutschland, Frau Heike Walz, weiterhin Dr. Daniel Beros, der in Erlangen promoviert hat, und Jose Migues Bonino. Er ist bereits im Ruhestand und deswegen sehr berühmt, weil er als der Vater der Befreiungstheologie für die Evangelische Kirche in Lateinamerika gilt. Zur I.S.E.D.E.T. gehören neun Kirchen, drei lutherische, drei reformierte, eine anglikanische und eine methodistische Kirche sowie die so genannte »Disciples of Christ« (Jünger-Jesu-Kirche). Sie ist eine ökumenisch orientierte Kirche und hat ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert.
Was ist Ihr Forschungsschwerpunkt?
Ich habe drei Forschungsgebiete. Mich interessiert besonders die Verbindung von Naturwissenschaft und Theologie. In diesem Rahmen habe ich übrigens auch Sie, den heutigen Generalsekretär des Martin-Luther-Bundes, Dr. Rainer Stahl, bei einer Konferenz des Lutherischen Weltbundes 1987 in Larnaca/Zypern kennen gelernt.
Zweites Thema meiner Untersuchungen ist die Verbindung von Gesellschaft und Theologie in der Tradition der Befreiungstheologie. Es ist die Neuinterpretation der zwei Regierungsweisen Gottes, des mit »beiden Händen handelnden« Gottes.
Mein dritter Forschungsschwerpunkt ist die Lutherische Theologie im lateinamerikanischen Umfeld.
Warum sind Sie nach Deutschland gekommen?
Ich habe gerade mein Freisemester für Forschung und Ausbildung bekommen. Deutsch lernte ich bereits an der Universität in Amerika, aber ich beherrsche nur das Lesen und Interpretieren der theologischen Texte und habe Probleme, die Sprache zu sprechen. Für mich ist das aber sehr notwendig. Ich habe im Rahmen des Lutherischen Weltbundes (LWB), und zwar als Berater in der Abteilung für Kirche und Theologie (Theology and Studies), zusammen mit Professor Dr. Joachim Track gearbeitet. Ich habe festgestellt, dass viele Leute aus Osteuropa zwar kein Englisch können, aber dafür die deutsche Sprache beherrschen. So ist es für mich, um die Kontakte mit ihnen pflegen und zusammenarbeiten zu können, wichtig, Deutsch zu sprechen. Andererseits ist es natürlich für einen lutherischen Theologen sehr wichtig, die Beziehung mit Deutschland und zu den deutschen Theologen in der Kirche zu haben. Wir sind auf das gemeinsame Gespräch und den Austausch angewiesen. Dieser Studienaufenthalt war somit auch eine gute Gelegenheit für mich, diese Beziehungen zu vertiefen. Ich habe viele Freunde, Theologen, Pfarrer und Studenten, in Deutschland. Die Gemeinschaft im Lutherischen Weltbund war der Auslöser für diese Aktivität.
Ich hatte aber auch noch ein anderes Interesse. Ich bin jetzt in einer Kommission in Argentinien, die zwischen zwei Kirchen, einer unierten und meiner bekenntnisorientierten lutherischen Kirche, Gespräche führt. Ich bin sehr am Dialog dieser beiden Kirchen interessiert, und wir sind in einem Prozess, diese beiden Kirchen miteinander zu vereinigen. So sind z.B. die derzeitigen Gespräche zwischen den Kirchen in Thüringen und der Kirchenprovinz Sachsen, in Pommern und Mecklenburg sehr interessant für uns. Auch die ökumenische Entwicklung der Kirchen in Frankreich und in den Niederlanden, die sich in einem Prozess aufeinander zu bewegt haben, ist sehr wichtig für mich.
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der Sprachkurs in Erlangen für Sie?
Die Teilnahme ist für mich sehr wichtig, weil der Begriff »Koinonia« (Gemeinschaft) im LWB für mich sehr wichtig ist: die Lutherische Kirche als »Koinonia« in der Welt. Ich war sehr daran interessiert, an diesem Kurs teilzunehmen, nicht nur wegen der Sprache, aber auch wegen der Beziehungen zu den verschiedenen Menschen aus den lutherischen Kirchen Osteuropas. Für uns in Lateinamerika sind Osteuropa und die Kirchen dort unbekannt. Unsere Institution I.S.E.D.E.T. hat schon eine lange andauernde Beziehung mit dem Martin-Luther-Bund, insbesondere mit der Literaturhilfe durch das Sendschriften-Hilfswerk. Die Teilnahme gerade an diesem Sprachkurs ist sehr gut, um an diesem Band der guten Beziehungen weiter zu knüpfen.
Was sind Ihre zukünftigen Ziele und welchen inhaltlichen Akzent nehmen Sie aus Erlangen mit nach Hause?
Im Lutherischen Weltbund arbeite ich in verschiedenen Forschungsprojekten. Das ist für mich die Zukunft. Mit meinen Mitstudenten des Sprachkurses habe ich viele Gespräche geführt und interessante Menschen kennen gelernt. Ich habe jetzt auf einmal Freunde, die aus osteuropäischen Kirchen kommen und die mir die Geschichte und Entwicklung in diesem Teil der Welt nahe gebracht haben. Das wäre ohne den Sprachkurs nicht möglich gewesen. Durch sie ist mir sozusagen das Licht im Osten neu aufgegangen. Die Teilnehmer kommen aus ganz unterschiedlichen Kirchen. Die kulturellen und sozialen Hintergründe sind ganz anders als in Westeuropa und viele sind ein bisschen konservativer.
Ursprünglich hatte ich mich bei der VELKD um einen allgemeinen Sprachkurs in München beworben. Aber sie haben mir den Kurs in Erlangen empfohlen, und das war perfekt. Es ist nicht nur ein Sprachkurs, sondern man lernt etwas über die Kirche, die Kultur und die Geschichte unserer Schwestern und Brüder, mit denen wir in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes in dieser Welt verbunden sind.
Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 4/2007. Wenn Sie die weiteren Artikel lesen möchten mit Berichten über die Schwierigkeiten, die Bibel zu übersetzen (»Wie die Mari eine Bibel bekommen« von Valerij Patrushev), vom Spannungsfeld zwischen Christ-Sein und Politik (»Als Christ in der Politik« von Günther Beckstein), von der liturgischen Erneuerung in Brasilien (von Nelson Kirst) oder etwas über den diesjährigen Deutsch-Sprachkurs für kirchliche Mitarbeiter aus den Diasporakirchen erfahren möchten, bestellen Sie den »Lutherischen Dienst« kostenlos.