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Aktuelle Meldung



09.05.2016 - Kategorie: LD online, Tschechien, Diasporagabe

LD online: Europas Geschichte – vor der Haustür




Die Gemeinde Třinec in Geschichte und Gegenwart

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2016, Sondernummer »Schlesische Evangelische A.B. Kirche in der Tschechischen Republik«



Lutherischer Dienst 2/2016, Sondernummer »Schlesische Evangelische A.B. Kirche in der Tschechischen Republik«

Die Konfirmandinnen und Konfirmanden in Třinec vom letzten Jahr. – Bild: foto-trinec.cz

Die Kirche in Třinec – Bild: SEKAB

Die Třinec-Eisenwerke auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1910. – Bild: Wikimedia Commons

Das Fundament der Geschichte

Die Stadt Třinec (gesprochen: Tschinez) war ursprünglich ein winziges Dorf, gelegen im großen Habsburger Reich, mit polnischsprachiger Verwaltung, ohne eigene Schule, denn es gab hier viel zu wenige Kinder, und ohne eigenen Friedhof. 1870 änderte sich die Situation. Mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Košice-Bohumín und der Niederlassung eines Eisenwerkes setzte der Aufschwung ein. Dieses schon 1838 gegründete Třinec-Eisenwerk zog Arbeitskräfte auch aus der weiteren Umgebung wie z.B. aus dem tschechischen Mähren und Böhmen in die Region. Ihre Kinder übernahmen die polnische Sprache, andere »Gastarbeiter« aus Westfalen und dem Rheinland behielten ihre deutsche Kultur. Viele Polen kamen ebenfalls, aus der Region Ustroń. Das alles veränderte nicht nur das Gesicht des Dorfes, sondern auch die religiösen Verhältnisse, denn meistens kamen römisch-katholische Zuwanderer. Die ursprünglichen Bauernhöfe und die einheimische Bevölkerung waren meistens evangelisch. Im Jahr 1900 zählte Třinec rund 3214 Einwohner, davon waren 1041 (32 %) evangelisch und 2110 (68 %) römisch-katholisch.

Nun entwickelte sich auch schrittweise das Schulwesen. Neben einer polnischen Schule entstand eine weitere deutsch-polnische Schule mit Deutsch als Pflichtsprache. Der ganze Unterricht zielte darauf, dass die Kinder die deutsche Sprache und Kultur kennen sollten. Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg entstand schließlich eine rein deutsche Schule und mit der Zeit weitere tschechische und tschechisch-deutsche Schulen.

Bevor die Pfarrgemeinde in Třinec entstand, besuchten die Evangelischen entweder die neun Kilometer entfernte Kirche in Teschen, die sechs Kilometer entfernte Kirche in Bystřice nad Olší oder die Gemeinde in Goleszów in Polen.

 

Eine lutherische Gemeinde entsteht

1891 entstand in Třinec eine Filialgemeinde der Teschner Gemeinde. Zugleich wurde das erste Presbyterium gewählt. Auf Empfehlung des Superintendenten Theodor Haase wurde damals der berühmte Wiener Architekt Julius Leisching gebeten, ein Projekt auszuarbeiten, nach dem dann der Teschner Bauer Kametz weitere Pläne vorbereitete. An der Grundsteinlegung am 21. Juni 1896 haben fast Zehntausend Menschen teilgenommen, und es wurde für 160.000 Kronen eine der schönsten und größten evangelischen Kirchen in Schlesien – ein neugotischer Dom mit einem Turm an der Vorderseite – gebaut. Von der Tür bis zum Altar ist die Kirche etwa 50 Meter lang, und 1100 Besucher finden in ihr Platz. Das Altarbild mit dem auferstandenen Christus malte Jan Raszka aus Krakau (Polen), der auch die Gestalten von Peter und Paulus am Altar fertigte. Aus dem Betrieb Rieger in Krnov wurde eine 30-Register-Orgel gekauft. Die Kirche wurde am 6. Sonntag nach Trinitatis, am 9. Juli 1899 eingeweiht. Am 28. Februar 1902 erkannte der Oberkirchenrat in Wien die Existenz einer selbständigen evangelischen Gemeinde A.B. in Třinec an. Als erster Pastor der Gemeinde wurde am 17. August 1902 Dr. Józef Pindór, Pastor aus Osijek im heutigen Kroatien, gewählt. Erzherzog Bedřich erfüllte die Bitte der Gemeinde und schenkte ihr in unmittelbarer Nähe ein Haus, das als Wohnung für den Pfarrer und als Pfarrhaus dienen sollte. Es steht noch heute und wird als das »alte Pfarrhaus« bezeichnet. Unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die Gemeinde 8000 Mitglieder.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg: Wieder veränderte sich alles

Die Zusammensetzung der Nationen in der Gemeinde verschob sich nach Ende des Krieges, es gab mehr Tschechen als Polen. Das hat sich bis heute nicht mehr geändert. Auch die Zahl der Gemeindemitglieder verringerte sich vor allem deshalb, weil auf dem Gebiet der Gemeinde weitere selbständige Gemeinden entstanden (Oldřichovice 1950, Nebory 2002).

In der ersten Hälfte der neunziger Jahre kam es zu einer schmerzhaften Trennung der Kirche, was auch die Gemeinde in Třinec betraf. Ein Teil der Mitglieder schloss sich der neuentstandenen Lutherischen Evangelischen A.B. Kirche an. Gegenwärtig steigt die Zahl der Mitglieder wieder ein wenig an. Zum 31. Dezember 2015 waren es 2305 Mitglieder.

1995 erhielt die Gemeinde von der Stadt Třinec das Gebäude der ehemaligen evangelischen Schule in Horní Lištná zurück. So konnte eine Predigtstation entstehen, in der Gottesdienste stattfinden.

Im Jahr 1997 hatte eine außerordentliche Gemeindeversammlung entschieden, das vom kommunistischen Regime in unmittelbarer Nähe der Kirche gebaute Kino »Hutník« (»Kumpel«) zu kaufen, das damals schon in einem sehr schlechten Zustand war. Das Gebäude wurde renoviert. Nach der Eröffnung 2007 sind ein Büro, Dienstwohnungen und weitere Versammlungsräume in einen Teil des Gebäudes eingezogen. Das heutige Gemeindezentrum »Hutník« wurde am 20. Juni 2010 feierlich eröffnet.

 

Leben in der Gegenwart

Geistlich ist die Gemeinde geprägt von ihrem lutherischen Erbe, wobei sie zugleich stark von der Frömmigkeit des Neupietismus beeinflusst wurde. In der Praxis bedeutet dies: Im Zentrum steht der bewusste Glaube an Jesus Christus als persönlichem Herrn und Erlöser und seine Nachfolge als Zeichen dieses Glaubens im Leben. Um diesen Glauben zu erreichen, legen wir Wert auf die Predigt und auf die Austeilung der Sakramente von Taufe und Abendmahl. In der Glaubenslehre stehen wir auf dem Grund der Bibel, die wir für Gottes offenbartes Wort halten, und wir halten uns an die Bekenntnisschriften der evangelischen Kirchen A.B. (Kniha svornosti, Kalich 2006).

 

Gottesdienste

Die Gottesdienste sind ein tragender Baustein des Gemeindelebens. Zum Gottesdienst treffen wir uns überwiegend am Sonntag, aber auch zu den kirchlichen Festtagen. Weitere Gottesdienste finden in der Predigtstation Horní Lištná und an weiteren Orten statt. An einem Gottesdienst in Třinec nehmen durchschnittlich 240 Menschen teil.

Weil ein Teil der Gemeindemitglieder zur polnischen Minderheit gehört, gibt es Sonntags je einen Gottesdienst in tschechischer und in polnischer Sprache. Hierfür werden die Predigten für alle ausgedruckt (nicht nur für die, die am Gottesdienst nicht teilnehmen können) und im Mp3-Format auf CD aufgenommen. Die Gottesdienste werden auch im Internet übertragen. Etwa fünfmal im Jahr veranstalten wir sogenannte Familiengottesdienste mit gemeinsamem Mittagessen und Nachmittagsprogramm mit Gästen. Die Gemeinde beteiligt sich auch an den Gottesdiensten im Seniorenhaus und im Krankenhaus Třinec. Viermal im Jahr werden Seniorengottesdienste mit Abendmahl veranstaltet, die vor allem für diejenigen bestimmt sind, die nicht mehr in der Lage sind, am Gemeindeleben teilzunehmen. Das Abendmahl wird regelmäßig im Gottesdienst zweimal im Monat und auf Wunsch auch nach dem Gottesdienst ausgeteilt. Im Bedarfsfall kann man um einen Hausgottesdienst bitten.

 

Vielfältige Gemeindeaktivitäten für jedes Alter und jede Lebenssituation

Die Kinder treffen sich immer sonntags im Kindergottesdienst. Die Eltern können für ihr Kind den Kindergottesdienst nach der Sprache – polnisch oder tschechisch – wählen. Die tschechischen Kinder werden in zwei Altersgruppen eingeteilt: danach, ob sie noch in den Kindergarten gehen oder schon zur Schule. Einmal monatlich erhalten die Kinder eine Segnung am Altar im Hauptgottesdienst.

Der Religionsunterricht in den Schulen ist bei uns keine Pflicht. Er findet in Form von Freizeitaktivitäten oder nicht verpflichtend in 16 Kindergärten und elf Grundschulen der Stadt Třinec statt und wird von drei Gemeinde-Katechetinnen geleitet. Insgesamt besuchen 280 Kinder in 29 Gruppen den Religionsunterricht.

Mittwochs treffen sich die Kinder im Klub »Hutničáci« (»Kumpelchen«). Er ist ein Missionsklub für Kinder aus Familien, die nicht Mitglieder der Gemeinde sind.

Jedes Jahr im Sommer veranstalten wir für Kinder aus der Gemeinde und dem Religionsunterricht im Alter von 7 bis 13 Jahren ein Ferienlager. Man trifft sich in einem Ferienhaus oder im Zeltlager in den Beskiden.

Schon seit einigen Jahren veranstalten wir englischsprachige Tageslager mit Muttersprachlern aus den Vereinigten Staaten, die den Unterricht leiten. Die Kinder sind von den englischen Liedern, den Bibelgeschichten und den verschiedensten kreativen Aktivitäten, die für sie vorbereitet werden, begeistert.

Im 7. Schuljahr findet der Konfirmandenunterricht statt. Anschließend können die Jugendlichen in die Jungschargruppe (13–17 Jahre) eintreten, die sie schon im Rahmen des Konfirmandenunterrichts besuchen. Hier werden zwischen den Jugendlichen Freundschaften geknüpft und gepflegt.

Diejenigen, die sich nicht mehr als Jugendliche fühlen und noch nicht zur mittleren Generation gehören, können sich der Gruppe »Třicítka« (Dreißigjährige) anschließen. Sie trifft sich zum Bibelstudium und bietet die Möglichkeit, sich mit Altersgenossen auszutauschen.

Für junge Ehepaare und Singles gibt es zahlreiche weitere Angebote. Ziel dieser Begegnungen ist es, den Familien ein gutes Angebot auf der Grundlage der biblischen Werte zur Verfügung zu stellen. Mütter mit Kleinkindern treffen sich jede Woche im Kinderraum im Gemeindezentrum »Hutník«, um gemeinsam zu lernen, ihre Kinder zu betreuen und sich um Haushalt und Mann, aber auch sich selbst zu kümmern.

In unserer Gemeinde gibt es Frauenkreise und Männergruppen. Sie treffen sich zu Bibelarbeiten, Vorträgen, Gebet und Gespräch, und um den Dienst in einigen spezifischen Bereichen des Gemeindelebens zu planen und zu organisieren.

Freiwillige aus der Gemeinde veranstalten jedes Jahr im Februar in den Räumen des Stadtkinos »Kosmos« eine Konferenz, an der etwa 400 Männer teilnehmen und die eine Möglichkeit zur Begegnung der Männer aus vielen Gemeinden, Kirchen und auch Nationen darstellt. Eine vielköpfige Gruppe kommt aus der Slowakei. Hierzu werden immer interessante Gäste und Referenten aus den Bereichen Kirche, Politik, Sport und Militär eingeladen. Im Kontext verschiedener Themen geht es um die Beziehungen zu Gott, zu den Frauen und zur Gesellschaft.

Die Senioren haben sich zur Gruppe der »Bereitwilligen Hände« zusammengetan. Neben Gebeten und Bibelandachten engagieren sie sich bei handwerklichen Tätigkeiten, z.B. bei der Herstellung von Gegenständen für Bedürftige in armen Ländern. Wichtig sind ihnen die Gemeinschaft und die gegenseitige Ermutigung.

Bibelstunden finden gewöhnlich jeden Sonntagnachmittag statt und werden vom örtlichen Verein »Christliche Gemeinschaft« veranstaltet.

 

Musik und Gesang

Die längste Geschichte und zugleich die größte Auslastung hat der gemischte Chor. Er tritt im Gottesdienst, aber auch bei anderen Anlässen auf.

Der Frauenchor Halevaj (hebräisch: »Wenn Gott erlaubt«) interpretiert hebräische Lieder, hat jedoch auch jiddische, tschechische, polnische und slowakische Lieder im Repertoire.

Die Tanzgruppen für Frauen und Mädchen bieten eine Gelegenheit für diejenigen, die durch traditionelle und gegenwärtige hebräischen Tänze ihren Glauben ausdrücken wollen. Ein untrennbarer Bestandteil der Begegnungen ist auch das gemeinsame Fürbittengebet für Israel und Lesungen in hebräischer Sprache mit abschließendem aronitischen Segen.

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2016, Sondernummer »Schlesische Evangelische A.B. Kirche in der Tschechischen Republik«. Wenn Sie die weiteren Artikel mit weiteren Informationen über Land und Leute und die dortige lutherische Kirche lesen möchten, bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.

 

» Třinec (GoogleMaps)