08.03.2017 - Kategorie: LD online, Italien
Die Reformation in Neapel zwischen griechischer Antike und spanischer Inquisition
von Caroline von der Tann
Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 1/2017
Lutherischer Dienst 1/2017
Ansicht von Neapel aus dem Jahr 1670, Stich von Alessandro Baratta (Ausschnitt).
Der Calvinist Galeacius Caracciolo gehörte zu dem Kreis um Juan de Valdés.
Reformation in Neapel? Im Zuge der Vielzahl von Veröffentlichungen zum Reformationsjubiläum ist das sicher ein Randthema – aber ein äußerst spannendes! Christiane Groeben, die frühere Präsidentin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien und neue Chefredakteurin von »Insieme/Miteinander«, der Kirchenzeitung der italienischen Lutheraner, in der dieser Beitrag zuerst erschienen ist, schreibt dazu: »Es freut mich sehr, dass dieser Beitrag im Lutherischen Dienst erscheint, umso mehr als das u.a. ein Ergebnis eines komplexen Projektes ist, durch das wir, die lutherische Gemeinde Neapel, aufarbeiten wollen, dass zur Zeit Luthers auch in Neapel einiges los war in Richtung Reformation. Das weiß heute niemand mehr so richtig. Noch mehr freut es mich ganz persönlich, weil dieses Projekt vom DNK/LWB und MLB stark gefördert wird.«
Mythos und Wahrheit, Antike und Gegenwart verflechten sich seit jeher in Neapel auf betörende Weise. Hier wurde der Leichnam der Sirene Parthenope ans Ufer gespült, nachdem Odysseus ihrem Gesang widerstanden hatte, und nach ihr wurde der Ort Parthenopis benannt, später Neapolis, die neue Stadt. Wo sich der Legende nach ihr Grab befand, wurde später die Kirche Sant’Aniello a Caponapoli errichtet. 1517 wird die Kirche den Augustinern anvertraut, dem Orden, welchem Erasmus von Rotterdam und Martin Luther angehörten. Auf Caponapoli treffen am Anfang des 16. Jahrhunderts klassische Kultur, die neoplatonische Philosophie und das Christentum in seinen sich neu entwickelnden Strömungen aufeinander.
Neapel ist eine Stadt, in der die Dinge niemals nur schwarz oder weiĂź sind. Alles entsteht aus dem Versuch, zu vermitteln, und so ist auch die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts gezeichnet von einem fruchtbaren Nebeneinander der verschiedenen Kulturen und Geistesströmungen. Reformation am Anfang des 16. Jahrhunderts heiĂźt erstmal lediglich, einer Erneuerung des Glaubens gegenĂĽber aufgeschlossen zu sein. Auch Luther geht nicht von einer Kirchenspaltung aus. Bernardino Ochino, Kapuzinermönch und mitreiĂźender reformatorischer Prediger, beeindruckt sogar Kaiser Karl V. mit seinen Predigten in der Basilika San Giovanni Maggiore in Neapel. Rund um den spanischen Theologen Juan de ValdĂ©s, der vor der Inquisition in seiner Heimat nach Neapel geflohen war, hat sich ein religiöser Kreis von Aristokraten und Intellektuellen gebildet, deren Teilnehmer reformatorischen Ideen nahestehen. Zu seinen Anhängern zählen die mit MichelÂangelo befreundete Schriftstellerin Vittoria Colonna, der Generalprior der Augustiner Girolamo Seripando, der Calvinist Galeazzo Caracciolo und der später in Rom wegen Häresie zum Tode verurteilte Pietro Carnesecchi.
Eine besondere Freundschaft entwickelt sich zwischen der berühmten Schönheit Giulia Gonzaga und Valdés. Im Wesentlichen ist ihr der Erhalt seiner Schriften zu verdanken, welche sie aus dem Spanischen ins Italienische übersetzen und bei einflussreichen Freunden in Sicherheit bringen lässt. Darunter befindet sich auch das 1536 verfasste Alfabeto cristiano, in welchem Valdés die Grundlagen seiner Theologie skizziert. Das Buch wird 1545 in Venedig publiziert und kommt sofort auf den Index der verbotenen Bücher.
Es gibt zwei Phasen der Reformation in Neapel. Die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts ist geprägt von der intellektuellen Toleranz der großen, Jahrtausende alten neapolitanischen Kultur. Juan de Valdés und sein Kreis werden in Neapel nicht als gefährlich oder häretisch wahrgenommen. Versuche, die Inquisition nach spanischem Ritual einzuführen, werden sowohl 1511 als auch 1547 von den Neapolitanern, die sich nur selten gegen irgendetwas auflehnen, mit Revolten zunichte gemacht. Die Stimmung ändert sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die Gegenreformation schlägt mit ganzer Wucht zu. 1547 werden die Universitäten als gefährliche Brutstätten geschlossen. Aus einer humanistisch geprägten Stadt der Antike wird eine Hochburg des Erzkatholizismus. Vor allem militante Orden wie die Jesuiten, Theatiner und Oratorianer werden an den Golf geschickt – ein Beleg dafür, als wie gefährdet die Stadt eingestuft wurde. Das Stadtbild ist bis heute von Klöstern und Ordensgebäuden geprägt.
Es ist kaum noch zu erahnen, dass einstmals reformatorisches Gedankengut in der Vesuvstadt mit Leichtigkeit und intellektueller Neugierde diskutiert wurde. Doch dann taucht 1851 in der Bibliothek des Britisch Museum ein Exemplar von ValdĂ©s’ Alfabeto cristiano wieder auf. 402 Jahre nach seiner Niederschrift bringt der bedeutende neapolitanische Gelehrte und Historiker Benedetto Croce 1938 die theologische Schrift mit einem einleitenden Vorwort erneut heraus und erinnert somit an die groĂźe reformatorische TradiÂtion Neapels.
Aus: Insieme/Miteinander, Kirchenzeitung der ELKI, Nr. 6/2016.
Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 1/2017. Wenn Sie die weiteren Artikel lesen möchten – etwa über das Bibelmuseum »Dr. Martin Luther« in Argentinien, über eine Reise in die russische Diaspora oder die Änderungen in der Zentralstelle des Martin-Luther-Bundes in Erlangen –, dann bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.