12.10.2016 - Kategorie: LD online, Lettland
Die Erfolgsgeschichte einer gelungenen Partnerschaft
von Christian Tegtmeier und Kurt Hoppe
Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 4/2016
Lutherischer Dienst 4/2016
Das Ladenprojekt »Von Menschen für Menschen« war zuerst in den Räumen der früheren Post untergebracht. – Bild: Tegtmeier
Die neue Altentagesstätte. – Bild: Tegtmeier
Der Martin-Luther-Verein im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig fördert seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit der seit 24 Jahren dort tätigen »Kirchlichen Lettlandhilfe Seesen e.V.« ein diakonisches Projekt in Lettland, in der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Rauna, gut 100 km nordöstlich von Riga. Viele kennen den Ort nur unter diesem Namen, doch war er früher manchem auch unter dem Namen Ronnenburg geläufig. Dort wurde vor über 200 Jahren durch die Kirche in Lettland auf kirchlichem Grund und Boden die Sommerresidenz der lettischen Bischöfe erbaut, mit einem landwirtschaftlichen Gutsbetrieb und nur einer losen Verbindung zur Ortsgemeinde Rauna. Mit der Besetzung durch die Sowjetunion und dem Beginn der kommunistischen Herrschaft verlor die Kirche Gebäude und Anwesen. Nach 1990 begannen die kirchliche Betreuung und der seelsorgerliche Dienst des Ortspastors.
Über diese Anfänge wurde an dieser Stelle schon einmal berichtet (vgl. Lutherischer Dienst, Heft 3/2009). Nun haben sich Projekte und Maßnahmen zwischen Rauna und den beiden deutschen Partnern ergeben, die als Beispiele diakonischer Arbeit in der Diaspora vorgestellt werden können. Unser gemeinsames Planen und Handeln lässt sich am besten mit den Worten umschreiben: »Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist« (Lukas 6,36).
Im Jahr 2005 wurde in Rauna eine Kirchliche Stiftung nach lettischem Recht gegründet. Sie trägt den Namen »Barmherzigkeit«. Auf ausdrücklichen Wunsch der lettischen Partner wurden der Martin-Luther-Verein in Braunschweig sowie die Kirchliche Lettlandhilfe Gründungsmitglieder dieser Stiftung. Sie entsprach in ihrer Gründungsphase dem Wunsch, das bis dahin in kirchlichen Gebäuden und auf kirchlichem Grund staatlich Âbetriebene Altenheim in kirchliche Trägerschaft zu übernehmen und weiterzuführen. Dieses Ziel zu erreichen, war schwierig und bedurfte großer Geduld. Die Stiftung »Barmherzigkeit« bot und bietet heute unter dem Namen »Diakoniezentrum der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Rauna« den rechtlichen Rahmen für die nachfolgend vorgestellten Projekte.
Die Folgen der Bankenkrise 2008/2009 hatten spürbare Auswirkungen auch auf das Leben in Lettland. Im Herbst 2009 kam aus der Kirchengemeinde die Bitte, gezielt bedürftige Familien in Rauna und Umgebung durch Lebensmittelspenden zu unterÂstützen, wie es bereits früher über viele Jahre durch die Kirchliche Lettlandhilfe geschehen, auf Bitten der lettischen Partner aber um die Jahrtausendwende eingestellt worden war. Im Januar 2010 fuhr dann ein Hilfstransport nach Rauna. Beim Verteilen der Hilfsgüter vor Ort Âwurde deutlich, dass hier gezielt und noch in anderer Weise mit Sachspenden geholfen werden musste. Daraus entwickelte sich das Ladenprojekt »Von Menschen für Menschen«, zunächst in den früheren Räumen der Post in Rauna, später in den eigenen, umgebauten Räumen der ehemaligen Bäckerei im Zentrum der Stadt. Die in Seesen und Umgebung gesammelten Sachspenden (Kleidung, Wäsche, Haushaltswaren, Fahrräder, Skier u.a.) werden jährlich im Frühjahr und Herbst mit zwei Hilfstransporten nach Lettland gebracht und dort im Laden – Stiftung gegen Spenden – an die Letten abgegeben. Hier sind regelmäßig an jedem Werktag der Woche Mitarbeiterinnen der Kirchengemeinde bzw. der Stiftung tätig. Zu diesen Hilfsgütern gehörten auch gesonderte Transporte mit Krankenhausbetten, Rollstühlen und Rollatoren für die beiden Altenheime in Rauna und Gartarta und zur ambulanten Versorgung.
Im Mai 2012 wurde ein zweites Projekt der diakonischen Arbeit eingeweiht: Nachdem im Gemeindehaus eine Wohnung frei geworden war, konnte durch einen kompletten Umbau und anschlieÂßende Renovierung eine Altentagesstätte eingeweiht werden. Dies geschah am 1. Mai 2012 durch den Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands, Jānis Vanags, und Propst Kreibergs (Cesis). Von Montag bis Freitag in der Zeit von 10 bis 16 Uhr werden unterschiedlichste Kurse angeboten, z.B. Gedächtnistraining, Kerzen gießen, Handarbeiten und vieles mehr; auch das Pfarramt bietet regelmäßig thematische Einheiten an, wie z.B. Luther und die Reformation, das Kirchenjahr, die zehn Gebote, so dass man miteinander ins Gespräch kommen kann. In Zusammenarbeit mit dem kommunalen Sozialwesen wurde auch ein spezieller Kochkurs für Frauen und Männer angeboten, die in besonderen Situationen in den Familien und Häusern Hilfe leisten. Schließlich konnte nach einem Trägerwechsel die Stiftung zum 1. Oktober 2015 das frühere Pensionat (Altenheim) in eigene Trägerschaft übernehmen. Sie betreibt nun das kirchliche Alten- und Pflegeheim ÂRauna (Pensija). Augenblicklich werden dort ca. 20 Personen betreut und versorgt. Für den Umbau wie für die Einrichtung kamen Unterstützungsmaßnahmen des Martin-Luther-Vereins Braunschweig und der Kirchlichen Lettlandhilfe Seesen hinzu. Begleitet wird diese Unterstützung durch gemeinsame theologische Arbeit mit den lettischen Partnern.
Das alles wäre nicht denkbar und nicht möglich, gäbe es nicht jährliche Konsultationen, Stiftungsratssitzungen, viele Gespräche, Gemeindestudienfahrten aus Seesen nach Rauna (2012, 2014, 2016) und Besuche der Letten in Seesen (2014). Dazu zählen ferner drei Aufenthalte und Konzerte des Propsteiposaunenchores Seesen in Rauna (2009, 2011, 2013) und ein Diakonieseminar im Jahr 2011. Dankbar können der Martin-Luther-Verein Braunschweig und die Kirchliche Lettlandhilfe Seesen auf die vielfältige und intensive Unterstützung und Förderung ihrer Arbeit durch die Bevölkerung der Stadt Seesen und der umliegenden Dörfer schauen. Durch Kollekten und Spenden aus den Gemeinden der Landeskirche, aus Gemeindegruppen und aus der Landeskirche selbst wie von Einzelpersonen wird manches möglich. Nicht zu vergessen sind die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, die die Transporte vorbereiten und begleiten, Sammlungen organisieren oder diese Arbeit mit Sachspenden fördern. Die Organisation aller Maßnahmen und Vorhaben auf unserer Seite liegt in den Händen der Kirchlichen Lettlandhilfe Seesen e.V. Auf lettischer Seite wird dies vor allem durch Anita Lubuze, die Vorsitzende der Stiftung in Rauna, wahrgenommen. Darüber hinaus gab es in den vergangenen Jahren immer wieder die Möglichkeit, unser Projekt im Bereich der Landeskirche in unterschiedlichen Gruppen und in vielen Gemeinden vorzustellen oder überhaupt erst bekanntzumachen.
Von lettischer Seite aus wurde dieses Unternehmen im Mai 2015 in besonderer Weise mit einem feierlichen Gottesdienst in der evangelisch-lutherischen Kirche in Rauna gefeiert und gewürdigt. Erzbischof Vanags ehrte im Namen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands Pastor Kurt Hoppe und seine Frau Renate mit dem »Schild des Vertrauens«, der höchsten Auszeichnung der lettischen Kirche.
Christian Tegtmeier ist Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Kirchberg/Seesen und Erster Vorsitzender des Martin-Luther-Vereins in Braunschweig, Kurt Hoppe ist Erster Vorsitzender der Kirchlichen Lettlandhilfe Seesen e.V.
Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 4/2016. Wenn Sie die weiteren Artikel lesen möchten – etwa über 25 Jahre theologische Ausbildung in St. Petersburg oder über den 33. Internationalen Sprachkurs des Martin-Luther-Bundes in Erlangen –, dann bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.
» Rauna/Lettland (GoogleMaps)