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04.08.2015 - Kategorie: ELKRAS, LD online, Namibia

LD online: Afrika am Wolga-Ufer




In der Gemeinde in Saratow leben wir Offenheit und Respekt

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 3/2015



Lutherischer Dienst 3/2015

Der namibische Oshivambo-Chor in Saratow. – Bild: Nikolai Zarew

Propst Alexander Scheiermann aus Saratow schickte uns einen interessanten Beitrag über afrikanische »Neubürger« in der Wolga-Gemeinde Saratow. Dieser Aufsatz zeigt eindrucksvoll, welchen wertvollen Beitrag die jungen Leute aus Namibia in der Gemeinde leisten. Sie sind willkommen und werden als Bereicherung geschätzt. Einheimische und Fremde kommen hier zusammen, leben miteinander, lernen voneinander und feiern Gottesdienst. Dieser?Aufsatz von Nikolai Zarew erschien mittlerweile auch in »Glaube und Heimat« (Kirchenzeitung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland) und im Evangelischen Sonntagsblatt Bayern.

 

 

In jeder Kirche gibt es – ähnlich wie in einer Familie – viele interessante Geschichten, die von Generation zu Generation weitererzählt werden. Vielleicht passiert das später einmal auch mit dem, was sich in den vergangenen Jahren seit 2003 in Saratow zugetragen hat. Vielleicht wird diese Geschichte Teil der Geschichte der Lutheraner in Russland â€¦

 

Damals hatte unsere Gemeinde in Saratow noch kein eigenes Kirchengebäude, denn das alte war vor langer Zeit während der Revolution durch die Kommunisten zerstört worden. Seitdem haben wir uns in einem kleinen Kellerraum im Zentrum der Stadt zum Gottesdienst versammelt.

 

In den Dezembertagen des Jahres 2003 geschah etwas Ungewöhnliches. Als wir uns an einem Adventssonntag zum Gottesdienst versammelten, betrat ein dunkelhäutiges Mädchen den Saal und setzte sich zu uns. Es ist nicht besonders überraschend, dass der Gast die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden bekam, denn sie war die erste dunkelhäutige Besucherin, die wir bis dahin gehabt hatten. »Wir dachten zunächst, dass sie sich vielleicht in der Tür geirrt hat«, so Pastor Andrej Dzhamgarow. Die Gemeindemitglieder, die sie später interessiert ansprachen, erfuhren dann, dass sie Leila heißt und aus Namibia stammt. Sie war nach Saratow gekommen, um Medizin zu studieren und anschließend in Namibia als Ärztin zu arbeiten. Leila erzählte uns, dass sie lange auf der Suche nach einer lutherischen Gemeinde gewesen war und dass es – auch wegen ihrer fehlenden Sprachkenntnisse – lange gedauert hatte, uns zu finden. Während der dann folgenden sechs Jahre, die Leila in Saratow studierte, versäumte sie keinen einzigen Gottesdienst und bemühte sich, aktiv am Kirchenleben teilzunehmen. Bei Chorproben, Bibelstunden und auch im Gottesdienstgeschehen war sie regelmäßig dabei.

 

Nach Beendigung ihres Studiums kehrte Leila mit einem in Russland sogenannten »roten Diplom« – d.?h. mit Bestnoten – in ihre Heimat Namibia zurück. Obwohl sie jetzt viele tausend Kilometer von uns entfernt war, hat Leila unsere Gemeinde eigentlich nie ganz verlassen, denn sie ­wurde so etwas wie unsere »Mitarbeiterin im Außendienst«. Zuhause nahm sie Kontakt zu weiteren namibischen Studenten auf, die vorhatten, in Saratow zu studieren, und gab ihnen die Adresse der evangelisch-lutherischen Kirche. Ihre Aktion war erfolgreich, denn nun kamen regelmäßig ­afrikanische Medizinstudenten zu uns, und die Gemeinde wuchs stetig. Die offenen und fleißigen Jungen und Mädchen aus dem fernen Namibia besuchten unsere Veranstaltungen. Es kamen immer mehr, und sie wurden zu unseren Schwestern und Brüdern, die unsere Gemeinde mit aufbauten. Und sie halfen auch bei der Entstehung unseres neuen Saratower Kirchengebäudes.

 

Heute ist es für uns ganz selbstverständlich, christliche Lieder auf Oshivambo – einer namibischen Stammessprache – zu hören und viele namibische Studenten bei uns zu haben.

 

Einer von ihnen ist Sakeus Josef, der seit 2009 bei uns ist. Er ist sehr aktiv in der Gemeinde. Wie er selbst erzählt, war sein erster Besuch bei uns für ihn ein richtiger Festtag. Ihm fiel sofort auf, dass sich die lutherischen Gottesdienste in Namibia und in Russland praktisch nicht unterscheiden. »Die Leute in Saratow können Gott genauso gut preisen wie die in Namibia«, freute er sich. »Die Saratower, die die Marienkirche besuchen, unterscheiden sich von den anderen Bürgern der Stadt. Sie halten zusammen und sind einander eng verbunden. Das zeigt sich natürlich nicht nur im Gottesdienstbesuch, sondern auch dadurch, dass sie beim Bau des Kirchengebäudes helfen, ihre Freizeit miteinander verbringen, gemeinsam Tee trinken und zusammen Neujahr feiern. Besonders gefällt mir der Chor, der oft am Sonntag die Kirchgänger mit Liedern und Gesängen erfreut. Ich bin überzeugt, dass die evangelisch-lutherische Gemeinde in Saratow eine sehr gesegnete Kirche ist, besonders weil sie Menschen vieler Nationalitäten vereint. Es kommen nicht nur Russen, sondern auch Studenten aus Namibia und Gäste aus Deutschland. Im Gottesdienstsaal kann man viele Sprachen zu hören bekommen: Russisch, Deutsch, Armenisch, Oshivambo, Englisch. Das ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass verschiedene Völker, die durch viele Kilometer und Grenzen voneinander getrennt sind, sich vereinen können, um Gott zu preisen. Meine Landsleute tragen ihr kleines Scherflein zum internationalen Gottesdienst bei. Obwohl die Gemeindemitglieder unsere Sprache nicht verstehen, hören und sehen sie gerne unsere Darbietungen. Sie loben somit gemeinsam mit uns den Herrn!«

 

Eines Tages kamen uns Geschwister aus der Nachbarpropstei Uljanowsk besuchen. Nachdem sie einander kennengelernt hatten, luden sie den Chor der namibischen Studenten zu sich in ihre Kirche ein. Diese nahmen die Einladung freudig an und machten sich schon bald auf die Reise. In Uljanowsk hatten sie einen Auftritt im Rahmen eines Gottesdienstes und besuchten anschließend ein Kinderheim in der Region. Die jungen Menschen spielten gemeinsam mit den Kindern Fußball, sangen Lieder, unterhielten sich und eröffneten sogar einen provisorischen Friseursalon, in dem sie anboten, echte namibische Zopffrisuren zu flechten.

 

Wie gut sich die Studenten in Saratow eingelebt haben, kam dabei auch zur Sprache: »Ich bin aus Saratow, aus Namibia.« Über diese Worte wunderten sich natürlich alle Anwesenden. Noch lange konnten die Heimkinder nicht verstehen, auf welche Weise die russische Stadt Saratow auf den afrikanischen Kontinent übergesiedelt war. Vielleicht haben einige von ihnen das erste Mal gesehen, dass für Gottes Liebe und die menschliche Güte Nationalität und Entfernung keine Rolle spielen.

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 3/2015. Wenn Sie die weiteren Artikel lesen möchten – etwa ĂĽber die größte Fachwerkkirche der Welt in Polen, ĂĽber das »Haus der Hoffnung« in Brasilien, ĂĽber den neuen Erzbischof der estnischen Lutheraner, Urmas Viilma, oder ĂĽber die diesjährige Ratstagung des Lutherischen Weltbundes in Genf â€“, dann bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.