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Aktuelle Meldung



19.01.2011 - Kategorie: Ungarn

UNGARN: Interview mit Bischof Fabiny zum umstrittenen Mediengesetz




Im »Deutschsprachigen Nachrichtendienst der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn« 1/2011 erschien jĂĽngst ein Interview mit Bischof Dr. Tamás Fabiny (Budapest) ĂĽber das umstrittene neue ungarische Mediengesetz. Da ĂĽber dieses Gesetz auch hierzulande kontrovers diskutiert wird, möchten wir unseren Lesern diesen kompetenten Blick aus ungarischer und kirchlicher Perspektive nicht vorenthalten:



Bischof Dr. Tamás Fabiny

Das ungarische Mediengesetz auf dem PrĂĽfstand – Bischof Dr. Fabiny im Gespräch

 

Budapest, 14. Januar 2011
Das Anfang Januar in Kraft getretene ungarische Mediengesetz ist – auch und besonders auĂźerhalb des Landes – heftig kritisiert worden. In der Berichterstattung fehlt jedoch bisweilen der tiefere Einblick in das Mediengesetz und das Wissen um die jĂĽngste Geschichte der ungarischen Medienkultur. Im Gespräch blickt Bischof Dr. Tamás Fabiny, der fĂĽr die kirchliche Medienarbeit zuständig ist, auf das neue Mediengesetz.

 

In Zusammenhang mit dem neuen ungarischen Mediengesetz ist – besonders für Nichtungarn – nicht unbedingt klar, welchem Zweck der Erlass dieses Gesetzes dienen soll und welche Geschichte ihm vorausgeht …

Das Mediengesetz und der Streit, der diesbezĂĽglich entbrannt ist, zeigt die heutige Situation Ungarns recht gut. Bis zum Regimewechsel konnten wir nicht von Pressefreiheit sprechen, denn die kommunistische Partei hatte die Medien ĂĽberwacht. Dann haben wir mit anderen zusammen fĂĽr die Pressefreiheit demonstriert. Ich werde jenes wunderbare Ereignis nie vergessen, als der bekannte ungarische Schauspieler György Cserhalmi am 15. März 1989 im Namen der Opposition symbolisch das Ungarische Fernsehen »besetzt« hat. In den Jahren nach dem Regimewechsel wurde wegen anhaltender Streitigkeiten um die Medien kein Mediengesetz beschlossen, das von einem Konsens getragen gewesen wäre. Stattdessen herrschte in der Praxis so etwas wie wilder Kapitalismus. Die Macht und vor allem der schnelle Profit hatte die Medieneigner schwindlig gemacht, und die Redakteure, die den Interessen der Medienmächtigen ausgeliefert waren, haben häufig die MenschenwĂĽrde und nationale wie christliche Werte mit FĂĽĂźen getreten und auch die Rechte von Menschen mit Behinderungen und Rechte von Minderheiten auĂźer Acht gelassen. Auch wurde der Schutz von Kindern nicht immer respektiert. In der Sportzeitschrift stand etwa neben Berichterstattungen ĂĽber die Bundesliga – oft in noch reiĂźerischeren Lettern – die Reklame fĂĽr sexuelle Dienstleistungen. Auch in zahlreichen Fernsehnachrichtensendungen tobte die Brutalität.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, wie viele positive Fortschritte das Ende 2010 beschlossene Mediengesetz mit sich bringt. So halten wir es für sehr wichtig, dass der Schutz von Kindern und Minderjährigen viel deutlicher in den Vordergrund gerückt wird. Auch wurden neue Altersgrenzen gezogen, so wurde etwa die Kategorie »für unter 6-Jährige nicht empfohlen« eingeführt.

Sendungen, die Minderjährige in ihrer physischen, geistigen oder ethischen Entwicklung ungĂĽnstig beeinflussen können – vor allem da die bewussten Sendungen von Gewalt oder von der direkten Darstellung von Sexualität geprägt sind –, dĂĽrfen von nun an nur noch in der späten Nacht, zwischen 22 Uhr und 5 Uhr ausgestrahlt werden. Zugleich wurde die rohe Pornographie und die extreme sowie die unbegrĂĽndete Darstellung von Gewalt gänzlich vom Bildschirm verbannt.

Weitere Aspekte des neuen Gesetzes sind, dass mehr als die Hälfte der in öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern ausgestrahlten Sendungen ungarisch sein müssen und die Hörfunkanstalten mindestens zu einem Viertel ungarische Musik spielen müssen. Ob eine solche Quotenregelung gut ist, halte ich jedoch für fraglich.

 

Welche Fragen – und eventuell Befürchtungen – bleiben beim Blick auf das Mediengesetz?

Im FrĂĽhjahr 2010 konnte die Fidesz/KDNP einen Zweidrittel-Wahlsieg davontragen. Mit dieser auĂźerordentlichen gesellschaftlichen Beauftragung wurden im Parlament mehrere Gesetze erlassen, die die Interessen der frĂĽheren Machthaber oder anderer Gruppen verletzen. Ich denke hier zum Beispiel an die Gesetze zu den Privatrentenkassen oder zur Sondersteuer fĂĽr multinationale Unternehmen.

Ebenfalls weiß man, dass die Rechte des Verfassungsgerichtes beschnitten wurden und dass seitens der Regierung dem Staatspräsidenten László Sólyom nicht erneut das Vertrauen ausgesprochen wurde, der seine Rolle – aus seiner verfassungsrichterlichen Überzeugung heraus – so verstand, dass er die jeweilige Regierung ein wenig im Zaum zu halten hatte. Ich hätte es als sympathischer empfunden, wenn die parlamentarische Mehrheit und die Regierung nicht alles aus Macht heraus erreichen wollten, sondern auch zu Gesten fähig wären. So hätten sie etwa auch aus den Oppositionsparteien Vertreter in das neue Mediengremium zulassen können. Auch hätte der Präsident der Medienbehörde nicht vom Ministerpräsidenten – und zudem nicht für die Dauer von neun Jahren – ernannt werden sollen.

Ich störe mich jedoch auch an der geäußerten Kritik am Mediengesetz: Ich hatte erwartet und erwarte auch jetzt, dass sich diejenigen, die ihre Vorbehalte formulieren – so etwa in Deutschland –, auf Paragraphen berufen. Daraufhin würde dann auch ich gerne nachsehen, welche diktatorischen Anteile im Gesetz sein könnten. Doch in der Kritik sehe ich eher nur Allgemeinheiten. So wird zum Beispiel die gesetzlich festgelegte Aufgabe der Medien zitiert, nämlich die »glaubwürdige, schnelle und genaue Berichterstattung über das örtliche, landesweite und europäische öffentliche Leben sowie über die Ereignisse, die für die Bürger der Republik Ungarn sowie für die Mitglieder der ungarischen Nation bedeutsam sind«. Dies wurde als recht allgemein gefasster und damit subjektiv auslegbarer Artikel angesehen, der – so die geäußerte Meinung – der Medienbehörde auch unbegründet Grund zur Akteneinsicht und zur Bestrafung von Redaktionen und Medien geben kann. Freilich wäre eine Formulierung glücklicher gewesen, die dem Argwohn keine Nahrung gibt. Ebenso kann ich jene Regelung benennen, dass ein Journalist ausschließlich im begründeten Fall zur Benennung des Informanten verpflichtet ist. Die Kritiker bemängeln, dass die gesetzliche Regelung hier nicht festlege, was unter »ausschließlich im begründeten Fall« zu verstehen sei, was wiederum leicht zum Missbrauch führen könne. Meine Überzeugung ist, dass mit einer umsichtigeren Regelung – gegebenenfalls mit einer umfassenderen sowie die Opposition und das Ganze dieses Bereiches besser einbeziehenden Gesetzgebung – all diese Unsicherheiten hätten vermieden werden können.

Dennoch halte ich die Ansichten für weit überzogen, denen gemäß das Ende der Pressefreiheit gekommen sei und nun irgendeine Form von ungarischer Diktatur bevorstehe. Für ausgesprochen verletzend halte ich, dass die ungarische Regierung bisweilen in mancher Anspielung für praktisch faschistoid gehalten wird.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass das Mediengesetz für manche Kritiker nur ein Vorwand war – dass also manche Kritik am Mediengesetz eigentlich von wirtschaftlichem Unrechtsempfinden, zum Beispiel von der Last durch die Sondersteuer für multinationale Unternehmen motiviert wurde.

 

Hat das Mediengesetz Auswirkungen auf die kirchliche Medienarbeit?

Es sind Entwicklungsmöglichkeiten kirchlicher Sendungen aufgezeigt:
Im Interesse der Hörgeschädigten ist nach der Simultanübersetzung in Gebärdensprache oder nach der Untertitelung von Sendungen zu streben. Das ist für kirchliche Sendungen nicht verpflichtend, jedoch eine Empfehlung, und schließlich ist missionarische Tätigkeit für Hörgeschädigte ein ehrenwertes Ziel.

Ein Positivum des Gesetzes aus Sicht der Kirchen ist die Regelung der Werbezeiten innerhalb von Sendezeiten: So ist Reklame in religiösen Sendung nicht möglich.

 

Ist eine offizielle Stellungnahme der ELKU oder der anderen Kirchen Ungarns – als wichtige gesellschaftliche Einrichtungen – geplant, sei es in Richtung des Parlaments oder der Regierung – oder gegenüber der ungarischen Öffentlichkeit?

Eine offizielle Reaktion ist weder von der ELKU noch gemeinsam von den Kirchen absehbar. Als Privatmann sage ich jedoch guten Herzens meine Meinung, wie ich dies auch frĂĽher gerne getan habe.

Vor etwa zwei Jahren habe ich an einer Radiosendung, die politische Fragen behandelte, teilgenommen. Dort sagte ich, dass ich darauf warte, Kritiker einer konservativen Regierung sein zu können. Mit diesem doppelbödigen Satz wollte ich signalisieren, dass ich nach acht Jahren unglücklicher sozialistischer Regierungszeit Änderungen für wünschenswert erachte. Zugleich wollte ich auch darauf hinweisen, dass die Kirche sich nicht einer einzigen politischen Partei anhängen kann, sondern dass sie denen gegenüber, die jeweils an der Macht sind, mutig Kritik üben muss. Vielleicht ist es diese kritische Solidarität, die die Kirche prophetischen Dienst nennt. Der erste Faktor meiner Äußerung von vor zwei Jahren – der Regierungswechsel nämlich – ist inzwischen erfüllt. Ich möchte meinem Satz von damals nicht untreu werden, so gestehe ich ein, dass wir in zahlreichen Fragen die Machthaber kritisieren müssen. Gegenüber ungerechten und überzogenen Angriffen jedoch habe ich sie zu schützen.

Das Interview fĂĽhrte Holger Manke.