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28.02.2007 - Kategorie: Brasilien, LD online

LD ONLINE: Armut und Lebensfreude am Amazonas




Einblicke anlässlich einer Reise im Auftrag des Martin-Luther-Vereins in Bayern im November und Dezember 2006

 

von Gerhard Lachner

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 1/2007



LD 1/2007

 

Wohnsituation im Armenviertel

Eines der vielen religiösen Konkurrenzangebote ... – Fotos: Lachner

Brasilien – wie dieses Wort schon klingt: nach Exotik und praller Lebensfreude. Meine allererste Reise dorthin. Ich machte mich mit unbedarfter Neugier und offenen Sinnen auf den Weg. Am meisten gespannt war ich auf viele Begegnungen – die es dann auch gab.

 

 

Brasilien und seine Menschen ...

 

... von denen es annähernd 190 Millionen gibt, konzentriert auf den Süden und Osten des Landes. Wuselnde Megastädte wie São Paulo, Rio de Janeiro, wuchernde Trabantenstädte um Brasilia. Laut geht es zu. Ständig ist Werbung präsent, optisch auf einer Unzahl von Plakaten und Werbetafeln entlang der Straßen, akustisch aus Häusern und fahrenden Lautsprechern.
Das positive Vorurteil über die Brasilianer stimmt. Sie sind sehr freundlich und hilfsbereit. Noch immer verlassen viele das weite Hinterland und ziehen in die ausufernden Städte, in der Hoffnung, dort Arbeit, Geld und damit ein besseres Leben zu finden. Was zum Teil auch gelingt. Denn in der Stadt finden sich tatsächlich eher Möglichkeiten als in manchen unterentwickelten Landregionen.

 

 

Die religiöse Situation in Brasilien

 

Die starke Neigung zu Spontaneität und Emotion öffnet viele Brasilianer für religiöse Formen, die diese Erwartungen aufnehmen und praktizieren. Aus den USA kommende Pfingstkirchen und Charismatiker sind die am schnellsten wachsenden religiösen Gruppierungen. Sie scheuen sich auch nicht, mitten in den entstehenden neuen Armensiedlungen an den ausfransenden Stadträndern eine einfache Halle anzumieten und dort mit Pastor und Angeboten präsent zu sein.

 

Die »Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien« (IECLB, » www.ieclb.org) tut sich da schwerer. Entstanden aus den Ursprüngen deutscher Siedler in den vergangenen beiden Jahrhunderten, steckt sie mitten im Umwandlungsprozess hin zu einer brasilianischen Kirche. Vieles ist schon erreicht – wie die Verwendung der brasilianischen Sprache im Gottesdienst. Viel ist noch zu tun. Am wichtigsten ist da das missionarische Bemühen: den Menschen nachgehen, die Liebe Christi spürbar werden lassen, offen werden für lebendige Gemeinschaft zwischen Besser-Bemittelten und Minder-Bemittelten. Die IECLB braucht ihr lutherisches Erbe nicht unter den Scheffel zu stellen: allein der Glaube, allein die Schrift, allein die Gnade. Dies ist immer noch ein tragfähiges Fundament christlichen Lebens, entgegen schneller Versprechungen in geistlicher und materieller Hinsicht, womit die vielen anderen Gruppierungen in Brasilien die Leute fangen.

 

Ein hoffnungsvolles Projekt ist die kleine Missionsbewegung »Missão Zero«, die konkrete Gemeindegründungsarbeit betreibt. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen im Westen sowie im armen Nordosten Brasiliens. Pastor Sergio Schäfer, der Leiter von Missão Zero, erzählte in einem Gespräch am konkreten Beispiel eines kleinen Ortes im Nordosten, wie eine Gemeinde entsteht:

 

Missão Zero kommt mit einem Team von Hauptamtlichen und Freiwilligen zu einem dreiwöchigen Einsatz in den Ort. Es werden evangelistische Veranstaltungen angeboten, die Leute aber auch zuhause besucht. In der Nacharbeit mit Glaubenskursen werden die Angesprochenen weiter betreut. Die Treffen finden anfangs in einem angemieteten Raum statt. Mit zunehmender Anzahl und steigendem Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht das Bedürfnis nach eigenen Räumen. Meist mithilfe von auswärtigen Spenden wird Baugrund gekauft. Als nächstes erfolgt der Bau von Kirche und Pfarrwohnung. Das Ganze geschieht teilweise innerhalb von zwei bis vier Jahren. Zur Finanzierung tragen die Gemeindemitglieder mit der Gabe des Zehnten bei. Trotzdem sind die meist armen Gemeinden noch lange Jahre auf Unterstützung von auswärts angewiesen. Missão Zero hilft über zehn Jahre, den Pfarrer zu finanzieren.

 

 

Die Partnerschaft des MLV in Bayern mit Brasilien

 

Der MLV Bayern blickt auf eine lange Tradition der Partnerschaft mit Brasilien zurück. Bereits im Jahr 1896 übernahm der bayerische Verein im Auftrag der verbündeten lutherischen Gotteskastenvereine die Fürsorge für die lutherischen Gemeinden Brasiliens. Seit 1897 Pfarrer Otto Kuhr im Auftrag des Lutherischen Gotteskastens zum Dienst nach Brasilien entsandt worden ist, sind insgesamt 143 Pfarrer diesem Beispiel gefolgt und haben so zur Entstehung der heutigen »Evangelischen Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien« beigetragen. So wurde diese Kirche wichtigster Partner des Martin-Luther-Vereins. Daran hat sich auch nichts geändert, als – infolge der vom Martin-Luther-Verein begonnenen Brasilienarbeit – die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern mit der Kraft eines Synodalbeschlusses und durch Unterzeichnung eines Vertrags eine offizielle Partnerbeziehung zur IECLB aufnahm.

 

Eine beachtliche Reihe von sozialdiakonischen Projekten, die aus den brasilianischen Kirchengemeinden heraus entstanden sind und von diesen geleitet werden, werden mit Hilfe des MLV von Freundeskreisen aus Deutschland verantwortlich mitgetragen. Kindertagesstätten, Schulen, Internate für die Ausbildung der in Landwirtschaft und Handwerk tätigen Jugend können so in ihrem Wirken zur Linderung der sozialen Not in dem riesigen Land unterstützt werden. Der MLV trägt durch seine Spendensammlung zur Sicherung der Existenz dieser Einrichtungen bei.

 

Manchmal während und seit der Reise habe ich mir die Frage gestellt, ob ich selber dort leben und arbeiten möchte. Meine Antwort fällt zwiespältig aus. Einerseits ist Brasilien mit seinen wunderschönen Landschaften und seiner reichen Natur ein faszinierendes Land. Seine Menschen machen es einem leicht, Kontakt zu finden.

 

Andererseits ernüchtern mich die mentalen Unterschiede. Als aufgeklärter, rational denkender Europäer würde mich manches aus der brasilianischen Mentalität auf Dauer eher in Konflikte bringen. Aber eine Reise ist Brasilien allemal wert.

 

 

Gerhard Lachner ist Leiter der Geschäftsstelle des Martin-Luther-Vereins in Neuendettelsau.

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 1/2007. Wenn Sie die weiteren Artikel mit Berichten über eine Spurensuche im Kaukasus, über einen Besuch des Generalsekretärs des Lutherischen Weltbundes, Dr. Ishmael Noko in Kasachstan, über »Schwesterliche Gemeinschaft in Omsk« oder ein Interview mit dem neuen Rektor der Luther-Akademie Riga, Dr. William C. Weinrich lesen möchten, bestellen Sie den »Lutherischen Dienst« kostenlos.