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Aktuelle Meldung



04.05.2017 - Kategorie: LD online, ELKRAS

LD online: Symbol der Hoffnung




Die Kirche in Kasachstan entwickelt sich zu einer multinationalen Gemeinschaft

 

von Jurij Nowgorodow

 

Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2017, Sondernummer »Evangelisch-Lutherische Kirche in Kasachstan«



Lutherischer Dienst 2/2017, Sondernummer »Evangelisch-Lutherische Kirche in Kasachstan«

Zeugen der Geschichte: ein handgeschriebenes Gesangbuch – Bild: Mahn

Das Bethaus der lutherischen Gemeinde in Astana, das allerdings bald abgerissen werden wird. – Bild: MLB

Regelmäßig findet die »Internationale Konferenz der Weltreligionen« statt. Die Unterschriften ihrer Vertreter, darunter auch des Lutherischen Weltbundes, bezeugen dies. – Bild: Mahn

Nach Gottes Willen lebt, betet und verkündet unsere Kirche das Evangelium in diesem Land seit fast 150 Jahren. Die Kirche hat eine stolze und gleichzeitig tragische Geschichte hinter sich. Fast die Hälfte dieser Jahre war die Zeit der Verfolgungen und der Jagd. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Kasachstan durch die Entscheidungen der Regierenden die stärkste lutherische Republik der früheren UdSSR, denn ca. eine Million Deutsche wurden hierher deportiert. Davon waren zwei Drittel Lutheraner, deportiert wurden auch Finnen, Karelier und Balten.

Aber trotz des harten Regimes lebte der Glaube. Die Stimme Christi erklang nämlich weiter aus Kasachstan. Hier in der Hauptstadt, dem heutigen Astana ­(ursprünglich Akmolinsk, später Zelinograd) begann die Wiedergeburt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der UdSSR. Im Jahr 1955 kam einer der am Leben gebliebenen Pastoren, Eugen Bachmann, nach Akmolinsk. Zu Pfingsten jenes Jahres hielt er einen heimlichen Gottesdienst, mit allen dazu gehörenden konspirativen Maßnahmen. Aber schon zwei Jahre später, 1957, erhielt die Kirche einen rechtlichen Status und wurde die erste in der Sowjetunion offiziell anerkannte lutherische Gemeinde.

In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts milderten die Regierenden den Druck auf religiöse Gemeinschaften. In dieser Zeit beginnt auch eine Partnerschaft zwischen den Gemeinden von Kasachstan und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Mecklenburg. Die Kirchengemeinden hatten zwei Funktionen. Sie waren zum einen die Versammlung der Gläubigen, andererseits waren sie sogenannte »nationale Kulturzentren«. Die Gemeinden in den Städten hatten in dieser Zeit einige Tausend Mitglieder.

Das Leben in den Gemeinden verbesserte sich allmählich. Nach dem Zerfall der UdSSR und der Unabhängigkeit Kasachstans bekamen die Gläubigen vorher nie gekannte Freiheiten. Es schien so, als komme eine Blütezeit der Kirche. Aber uns erwartete bald die nächste Prüfung. Die schwere wirtschaftliche Situation im Land und das Programm der Bundesrepublik Deutschland zum Nachzug der ethnisch Deutschen führten zu einer massenhaften Ausreise. Die Gemeinden schmolzen zusehends, und die Zahl ihrer der Mitglieder sank rasch.

1993 schlossen sich die verbliebenen lutherischen Gemeinden von Kasachstan zusammen in einer selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kasachstan. Ihr Leiter wurde der damalige Superintendent Richard Kratz. Auf der Synode im Jahr 1996 wurde Robert Moser zum ersten Bischof der Kirche gewählt. Die kirchliche Realität bescherte ihm sehr viele Probleme. Viele der Gemeinden waren ohne Pastoren und Prediger. Man musste die Ausbildung von Kirchenmitarbeitern auf die Beine stellen und verschiedene Ämter in den Gemeinden organisieren. Aber das größte Problem war, dass die offizielle Sprache der Kirche immer noch Deutsch war, wobei über die Hälfte der Kirchgänger die Sprache nicht beherrschte. Auf diese Weise blieb der Weg für Gläubige anderer Sprache und Nationalität in die Kirche verschlossen. Bischof Moser traf damals schweren Herzens eine Entscheidung. Seitdem wurden alle Gottesdienste auf Russisch gehalten. Ich denke, er hörte damals viel Negatives wegen seiner Entscheidung, aber heute zeigt sich, dass er Recht damit hatte. Nur so konnte sich die Kirche entwickeln. Heute ist sie eine multinationale Gemeinschaft.


… und siehe wir leben!

Wir sind nicht in der Mehrheit. Stellen Sie sich vor: Kasachstan ist siebenmal größer als Deutschland und hat ca. 17 Mio. Einwohner. Haben Sie bemerkt, wie groß unser Lebensraum ist? Und auf diesem großen Territorium leben 50 kleine lutherische Gemeinden in der Zerstreuung. Die Entfernung zwischen den einzelnen Gemeinden beträgt über 1000 km. In diesem Zusammenhang hat Astana als Zentrum eine große Bedeutung und ist für die Kirche ein Knotenpunkt. Den Dienst des Bischofs in unserer Kirche vergleiche ich mit der Nadel, die einen Faden mitzieht und ­zerstreute Stückchen zu einer Einheit miteinander verbindet. Obwohl unsere Kirche nicht groß ist, kennen uns die kasachische Gesellschaft und der kasachische Staat. Unsere Stimme wird gehört, unsere Meinung wird akzeptiert, aber es gibt immer Leute – auch in Deutschland –, die sagen: »Wozu muss man diese Kirche eigentlich unterstützen? Sie stirbt doch sowieso.«

Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens: Ist es nicht doch eine heilige Pflicht jedes Christen, einen Sterbenden zu begleiten und zu stützen? Das ist die Frage an diejenigen, die vorschlagen, uns zu vergessen. Zweitens: Lassen Sie mich den Schriftsteller Mark Twain zitieren: »Die Gerüchte über unseren Tod sind stark übertrieben.«

Wir bewahren bei uns eine Tafel, die damals Pastor Eugen Bachmann beschrieben hat. Auf dieser Tafel steht der Satz: »… in allen Dingen erweisen wir uns als die Diener Gottes: … als die Sterbenden, und ­siehe, wir leben“ (2 Kor 6,4.9) Wir, die Gemeinden in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kasachstans, leben, wir haben nicht vor zu sterben und wir sind sicher, Gott beschützt uns. Diese Worte des Apostels Paulus werden am Eingang der neuen Kirche stehen, die wir jetzt bauen.


Wir bauen eine Kirche

Seit 2003 wissen wir, dass unser Bethaus in Astana von der Stadt abgerissen werden wird. Aus wirtschaftlichen Gründen steht der Abriss noch aus. Wir haben dadurch noch eine Frist erhalten. Aber der Moment wird bestimmt kommen, an dem wir das Haus verlassen müssen, dass wissen wir sicher. Damit wir aber nicht obdachlos werden, beschlossen die Gemeinde und die Verwaltung der Evangelischen-Lutherischen Kirche in der Republik Kasachstan, so schnell wie möglich mit dem Bau eines neuen Kirchengebäudes zu beginnen. 2014 gab uns die Stadtverwaltung ein Grundstück für den Bau. Ein Projekt wurde entworfen und von Experten geprüft, und im Mai 2015 starteten die Bauarbeiten.

Zum ersten Mal bauen jetzt die Lutheraner in Kasachstan eine Kirche. Wir bauen nicht – wie sonst schon oft – einen Raum zu einem Bethaus um. Wir bauen eine Kirche! Der neue Kirchen-Komplex besteht aus zwei Gebäuden. Er ist einerseits ein Kirchenhaus mit einem hellen und großzügigen Untergeschoß. Es ist geplant, dass hier zukünftig die Arbeit mit Jugendlichen durchgeführt werden und auch noch Platz für die diakonische Arbeit sein soll.

Das zweite dreistöckige Gebäude wird im Erdgeschoß Räumlichkeiten für die Gemeindearbeit, die Sonntagsschule, das Pastorenbüro und die Bibliothek haben. Im ersten Stock werden sich die Verwaltung der Kirche, das Archiv und ein Seminarraum für verschiedene Veranstaltungen befinden. Im zweiten Stock sind acht Gästezimmer und ein kleiner Speiseraum vorgesehen.

Zurzeit ist der zweite Block voll ausgebaut. Dort laufen momentan die Abschlussarbeiten. Das Ziegelmauerwerk der Wände und die Montage der Metallkon­struktion sind fertig gestellt. Alles ist bereits installiert: Wasserleitung, Kanalisa­tion, Stromversorgung, Telefon und Internet. Die Heizungssysteme und der Gaskesselraum sind fertig moniert.

Die Projektkosten betragen ca. 1,1 Millionen Euro. Bisher sind Arbeiten im Wert von 700.000 Euro durchgeführt, ca. 100.000 Euro haben wir noch auf dem Bankkonto und für die Fertigstellung müssen wir noch ca. 300.000 Euro aufbringen und durch Spenden sammeln.

Der Bauabschluss ist im Herbst 2017 geplant. Bis dahin müssen noch das Grundstück eingefasst, die Treppen zu beiden Gebäuden eingebaut, das Dach aufgesetzt und der Innenausbau fertiggestellt werden. Das Grundstück muss abschließend auch noch eingezäunt werden.


Woher kommt Hilfe?

Der Hauptteil der Spenden kommt von Bürgern und Organisationen in Kasachstan. Wir bedanken uns bei diesen Organisationen im Land, die uns bei den Bauarbeiten unterstützen. Große Hilfe leisteten uns unsere alten Freunde und Partner: der Partnerkreis aus Mecklenburg, der Martin-Luther-Bund, das Gustav-Adolf-Werk und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, aber auch zahlreiche Firmen, die Stadtverwaltung in Astana, das Komitee für religiöse Angelegenheiten, Privatpersonen aus unserem Freundeskreis und unsere Kirchgänger. Wir beten für sie und sagen Dank an alle.

Für die ganze Kirche in Kasachstan ist dieser Bau zu einem persönlichen Anliegen geworden. Er ist ein Symbol für uns: Das Symbol der Existenz der Kirche auf kasachischer Erde, Symbol unseres Glaubens, Symbol aller Strapazen, Symbol ihres schweren Schicksals in der Verfolgung und im Untergrund und Symbol einer hellen Hoffnung.

Das Land Kasachstan steckt voller Wunder: Hier kommt es vor, dass am Weihnachtstisch die Mehrheit der Gäste Kasachen sind. An muslimischen Feiertagen können viele verschiedene Nationalitäten am Tisch sitzen: Russen, Ukrainer und Deutsche. So leben wir. Dieses Erbe – die freundliche Nachbarschaft – bekamen wir von unseren Vätern und wir schätzen es und halten es in Ehren. Deshalb helfen uns alle beim Kirchenbau, unabhängig von Nationen und Religionen. Wir danken unseren Landesleuten dafür und wir danken Gott für dieses Geschenk der Gemeinschaft.

Unsere Gemeinden sind klein und das Leben ist nicht so aktiv wie in manchen Kirchengemeinden in Europa, aber sie leben. In den Gemeinden gibt es lebendige Sonntagsschulen, es werden diakonische Projekte durchgeführt, Ferienlager für Kinder, Jugendliche und ältere Leute angeboten. Dank kräftiger Unterstützung unserer Freunde ist der Ausbildungsprozess auf dem allgemeinkirchlichen Niveau gut organisiert. Seit einigen Jahren, viermal pro Jahr, treffen sich Pastoren und Prediger in Seminaren, die von qualifizierten Lehrern durchgeführt werden. Auch für Sonntagsschullehrer werden Seminare angeboten.


Kirche und Gesellschaft

In unseren Gemeinden haben wir einige laufende diakonische Projekte. Seit über zehn Jahren kümmert sich die Gemeinde in Kokschetau um Essen für Obdachlose. In Astana und Kustanai arbeiten die Gemeinden mit allein erziehenden Müttern, Behinderten, Schwerkranken und Drogensüchtigen. Wir bedanken uns bei allen, die diese Projekte unterstützen, bei allen, die oben genannt wurden und beim Diakonischen Dienst der Nordkirche.

Unsere Kirche ist sozial sehr aktiv. Wir nehmen praktisch an allen interreligiösen Begegnungen, Konferenzen und Versammlungen teil. Wir haben regelmäßigen Kontakt und führen Gespräche mit wichtigen Verantwortungsträgern in der Gesellschaft. Wir haben gute Beziehungen mit der Russischen Orthodoxen Kirche, mit der Römisch-Katholischen Kirche in Kasachstan und auch mit der islamischen Gemeinde von Kasachstan.

Seit 2003 treffen sich auf Initiative von Präsident Nursultan Nasarbajew einmal in drei Jahren die Leiter der Welt- und Traditionsreligionen. Der VI. Kongress dieser Art tagt 2018 wieder. Diese Kongresse stoßen auf großes Interesse bei der internationalen Gemeinschaft. Teilgenommen haben auch schon Patriarch Bartholomeus, der Patriarch von Jerusalem, Patriarch Kirill, der oberste Würdenträger im Vatikan, der Präsident von Israel, der König von Jordanien und viele weitere berühmte Politiker und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie Vertreter von den Vereinten Nationen. Der Islam wird von den Leitern der Sunniten und Schiiten vertreten, auch die anderen Religionen nehmen teil.

Der Lutherische Weltbund, die Weltgemeinschaft der Lutheraner, wurde auf vier Kongressen durch seine jeweiligen Generalsekretäre, Ishmael Noko und Martin Junge, vertreten. Am fünften Kongress nahm der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan, teil. Martin Junge wurde auch in die geistliche Leitung des Kongresses gewählt. An der Spitze steht Präsident Nasarbajew. Das Arbeitsorgan des Kongresses, das Sekretariat, ist seit 2003 für alle Vorbereitungen verantwortlich. Den Lutherischen Weltbund im Kongresssekretariat vertritt seit 2004 der Bischof der Kirche von Kasachstan.


Zum Schluss

Wie Sie sehen, sind wir voller Leben und voller Pläne. Dieser optimistische Satz bedeutet nicht, dass bei uns alles reibungslos funktioniert, dass wir keine Probleme haben und vielleicht schon dabei sind, den »Zaun um das Reich Gottes zu bauen«. Das ist nicht der Fall. Wie immer hat das Leben viele Seiten. Es gibt genügend Probleme und Schwierigkeiten. Vor allem müssen Sie verstehen, dass unsere Kirche in einem Land lebt, in dem 75 % der Bevölkerung zum Islam gehören, ca. 20 % zur Russischen Orthodoxie. Wir gehören zu den verbleibenden 5 %, denen alle anderen Religionen angehören.

Kasachstan steht im Zentrum von Eurasien und dient als Knotenpunkt aller Zivilisationswege. Die Stürme dieser Welt gehen, gehen an diesem Land nicht vorbei. In den letzten Jahren wurde das Land immer wieder von Extremisten und Terroristen heimgesucht. Daher musste der Staat einige einschränkende Maßnahmen im religiösen Leben des Landes ergreifen. In den meisten Fällen betreffen diese Maßnahmen auch diejenigen Organisationen, die sich gesetzestreu verhalten.

Seit 25 Jahren ist das Land unabhängig. Das ist eine kurze Zeit. Wir hatten die schwersten wirtschaftlichen Krisen, die immer jeden Bürger und jede Familie betreffen. Unsere Kirchgänger zählen nicht zu den reichen Leuten. Deshalb danken wir Gott, dass er uns Partner schickt, die uns betreuen und unterstützen. Wir sind unendlich dankbar dafür. Es gibt kein Projekt, das ohne die Hilfe unserer Partner verwirklicht worden ist. Wir danken Gott für die Zusammenarbeit mit Ihnen, für Ihre Fürsorge und Ihre Liebe. Wir sind nicht viele, aber wir leben – und über uns erklingt, dank Ihrer Unterstützung und Ihres Gebets, die christliche Botschaft in Kasachstan.

Seien Sie versichert, dass wir für Sie beten, Sie schätzen und lieben. Möge Gott Sie behüten und begleiten und Ihnen, Ihren Häusern und Ländern Frieden schenken!

In herzlicher Fürbitte
Ihr Jurij Nowgorodow
Bischof der Evangelischen-Lutherischen Kirche in Kasachstan



Auszug aus dem »Lutherischen Dienst« 2/2017, Sondernummer »Evangelisch-Lutherische Kirche in Kasachstan«. Wenn Sie die weiteren Artikel mit weiteren Informationen über Land und Leute und die dortige lutherische Kirche lesen möchten, dann bestellen Sie den » Lutherischen Dienst kostenlos.

 


» Die neue Kirche in Astana (GoogleMaps)